Tel Aviv hat eigentlich nur einen Fehler: Es besitzt ebenso viele Parkplätze, wie man Wahrheiten in der Rede eines Politikers findet - nämlich praktisch gar keine.
Einen Parkplatz zu finden, ist wie ein Sechser im Lotto. Jeder Glückliche, der durch Zufall in diese Schicksalsfügung gerät, behält den Platz. Für immer. Das geht soweit, dass junge Eltern - noch bevor sie den Kinderwagen kaufen, zum Autohändler gehen und ihrem künftigen Kind ein Auto kaufen - und sich dann auf die Suche nach einem Platz machen. Zur Bar Mizwa wird dem Kind dann feierlich der Parkplatz - nicht das Auto (!) - übergeben (Das passiert dann erst mit der Volljährigkeit). Meistens rührt der Kleine aber auch als Erwachsener das Auto gar nicht an (es gibt sogar Testamentsvordrucke, in denen das Verbot ausdrücklich vermerkt ist), sondern tut das, was seine Eltern schon gemacht haben: er geht weiter zu Fuß, fährt mit dem (Elektro-)Fahrrad oder stürzt sich kamikazehaft mit dem (Elektro-)Roller in das Getümmel. Ein uralter Brauch - so schon von den Vorvätern übernommen.
Dies führte in der Vergangenheit der Stadt zu spektakulären Entdeckungen, wenn zum Beispiel bei Aufräumarbeiten unter dem Staub und den Blättern eine Oldtimer-Rarität zum Vorschein kommt, wie im Jahr 1989 der Rolls Royce Silberghost - in der Ben Yehuda gefunden - als ein Stadtbeamter vor der Hauptsynagoge versuchte dem Wagen ein Ticket wegen Falschparkens zu verpassen.
Und dann gibt es die ganz wenigen Wagemutigen oder auch Verzweifelten, die ihren Parkplatz - aus der Not heraus oder einfach nur, weil sie zum Einkaufen müssen - aufgeben. Der Platz ist binnen Sekunden an die nachfolgende Generationen vergeben. Und dann stellt sich die Frage: was nun? Die Möglichkeiten gehen gegen Null. Manchmal tauscht man den Platz, mit einem Nachbarn, der auch kurz mal zum Bäcker musste oder man wechselt die Plätze seiner Kinder durch (Was rein rechnerisch aber auch einen Parkplatz zu wenig ergibt).
Aber wenn das alles nicht mehr funktioniert (Oder die Nachbarn nicht mehr mitspielen -"Wieso dein Platz?"), bleibt nur noch eine Option: Das "Parkhaus des Grauens" im Dizengoff Center. Der Hades von Tel Aviv, der Vorhof in die Verdammnis: Eine unbekannte Anzahl an Stockwerken, ein nicht mehr nachzuvollziehen Orientierungssystem, ein sagenumwobenes Dachgeschoss, (von dem alle gehört haben, aber niemand hat es je gesehen), Säulen mitten in der Fahrbahn, dunkle Ecken und auch hier: niemals Platz.
Sollte sich jemand also hier hinein verirren, stellt sich - nach der Suche des Parkplatzes - gleich die nächste Herausforderung: wie komme ich hier wieder heraus? In wilder Panik sucht man einen Aufgang aus den Hades - und vergisst dabei das Wesentliche: das Fotografieren wichtiger Positionen, an denen man später den Standort seines Fahrzeuges wieder erkennen will. Bestenfalls merkt man sich noch die zentralen Daten: Geschoss, Farbe (wenn noch zu erkennen), Bereich und Nummer und stürzt zu etwas, was wie ein Aufgang aussieht (Die Profis unter den Telavianern nehmen - aus guten Grund - gleich die Einfahrtsrampe, um aus der Unterwelt herauszukommen - Mistrauisch beäugt vom Sicherheitsmann, der den Kofferraum kontrollieren muss, aber darüberhinaus jede Hilfe verweigert).
Aber wenn man damit denkt, allem entkommen zu sein, dann liegt man falsch. Denn nicht alle Ausgänge aus dem Center sind geöffnet - vor allem zu später Stunde sieht man von der Straßenseite aus oft Verzweifelte von innen an den Türen rütteln, Panik im Blick und dabei unweigerlich den nächsten Fehler begehend: kopflos zum nächsten Ausgang zu stürzen und dabei die Orientierung an Landmarken ("hier der Sushi-Laden" oder "Der Fleck auf dem Boden") vergessend. Denn niemand denkt an den Rückweg und wiegt sich in Sicherheit, in dem Glauben mit den gemerkten Nummern alles im Griff zu haben. Oh, welch fataler Irrtum. Denn das obskure Nummernsystem findet seine Hybris in den unzähligen Zugängen zum labyrinthartigen Dizengoff Einkaufscenter, in denen sich durch einen geheimen Schlüssel die Nummern des Gebäudes (Mindestens drei), des Bereichs (gekennzeichnet durch Farben, die aber schon im ersten Stockwerk nicht mehr zu erkennen ist) und des Zuganges wiederfinden. Dumm nur, dass dieser "Schlüssel" nur direkt am Treppenzugang selber zu finden ist. Wie man durch die Katakomben des Centers mit seinen Ebenen, Gebäuden und Rampen aber genau da wieder hinkommt, das sagt einem niemand. Verwirrten Blickes rennt man durch Gebäude A, bis man erkennt, dass ein absolut identisches Gebäude B (identisch sogar bis hin zum Farbflecken auf dem Boden und der geschlossenen Sushibar auf der 2. Etage) auf der anderen Straßenseite zu finden ist.
Und damit haben die Qualen noch kein Ende, den sollte man endlich seinen Wagen gefunden haben, bleibt die Suche nach einer Auffahrt und bis zuletzt weiß man nicht, an welcher Stelle der Stadt man ausgespuckt wird.
Ja, es ist schlimm mit den Parkplätzen in Tel Aviv.
Aber auch die Stadtverwaltung kennt die Dramatik zumindestens ihres Parkhauses und erschüttert versprach der Bürgermeister letztes Jahr Besserung, als während der Renovierungsarbeiten von Geschoss drei ein Skelett gefunden wurde, das noch krampfartig einen Parkschein in der Faust umschlossen hatte - aus dem Jahr 1994.
Und die Universität von Tel Aviv hat dieses Jahr eine Studie in Auftrag gegeben, mit der nachgewiesen werden soll, dass es sich bei dem Parkhaus um einen lebenden Organismus handelt. Es haben sich allerdings noch keine Studenten gefunden, die den Einstieg in das letzte Geschoss wagen wollen.
Viele Fragen bleiben also noch offen.
Das Titelbild (in diesem Post nicht vorhanden) soll unsere Landmarke für den Einstieg in den Hades nachher sein. Wir sind nicht sicher, ob wir es schaffen. Das Hotel hat uns schon geraten, den Wagen aufzugeben. Der Autoverleih zeigte auch Verständnis. Wir wollen es trotzdem versuchen. Wir gehen jetzt los... Vergesst uns nicht!!
(Geschrieben am 17.04. 2017 - 24 Stunden bevor das Dizengoff Parkhaus wirklich zuschlug und einen Totalschaden verursachte. Und sollte der Stil des Textes jemanden an Ephraim Kishon erinnern: Ja, das könnte tatsächlich sein).